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Sex unter Männern – für eine bessere sexuelle Gesundheit

Ausgabe Nr. 90
Jan. 2012
Sexuelle und reproduktive Gesundheit

Neue Publikation. Das Bundesamt für Gesundheit veröffentlichte am 1. Dezember eine Broschüre mit der Bezeichnung «Sex unter Männern: Für eine bessere sexuelle Gesundheit 2012». Diese Broschüre zieht die Bilanz der derzeitigen Kenntnisse über die HIV-Epidemie bei den Homosexuellen und anderen Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Sie steckt den Rahmen der dringlichen allgemeinen Strategie «Urgent Action Plan 2012» ab.

Seit 2002 steigt die Zahl der neuen HIV-Infektionen bei homosexuellen und anderen MSM jährlich an. Diese Entwicklung ist das Ergebnis mehrerer Faktoren. Einerseits praktizieren eine wachsende Anzahl homosexueller Männer und andere MSM Analverkehr ohne Kondom mit ihrem festen Partner (wobei die Mehrzahl eine HIV-Infektion durch einen HIV-Test ausschliesst) und ihren regelmässigen gelegentlichen Partnern (Liebhaber oder «Fuckbuddies»). Der teilweise Verzicht auf das Kondom mit den Liebhabern erklärt sich insbesondere durch die Entwicklung des Vertrauensverhältnisses im Laufe der Zeit, das demjenigen mit einem festen Partner ähnelt. Die Versuchung, auf das Kondom zu verzichten, macht sich natürlich bemerkbar, wenn der regelmäs­sige gelegentliche Partner einen negativen HIV-Test vorweist. Diese mehrfachen «Vertrauens»-Beziehungen lassen ein Netz von Individuen entstehen, die ungeschützten Geschlechtsverkehr haben und durch ein Gefühl von Sicherheit «falsch» motiviert wurden. Es reicht dabei aus, dass ein Mitglied dieses Netzes sich infiziert, damit das Virus sich ausbreitet. In der Tat kann eine Person während der ersten drei Monate ihrer Infektion ihr Virus bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr leicht übertragen, denn ihre Viruslast in Blut und Sperma ist während dieser Phase 20- bis 100-mal höher (Primoinfektion) als in der Latenzphase. Andererseits führen die wachsende Wirksamkeit der antiretroviralen Therapien und das Fehlen einer Todesbedrohung, die stets einen Präventionsvektor darstellte, zu einer Normalisierung und Einreihung der HIV-Infektion in die Reihe der chronischen Infektionen. Diese Normalisierung spornt einen Teil der homosexuellen Männer und andere MSM an, sich nicht mehr systematisch zu schützen.
Obschon eine Übertragung des HI-Virus sehr unwahrscheinlich ist, wenn ein Mensch eine wirksame Behandlung verfolgt, scheint es bei den Homosexuellen und anderen MSM in der Schweiz, dass die positiven Auswirkungen der Tritherapien durch die kontinuierliche Erhöhung des Risikoverhaltens (ungeschützter Analverkehr mit mehreren Partnern) ausgeglichen werden. Auf Vorschlag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) wurde ein mathematisches Modell entwickelt, das die HIV-Epidemie bei den MSM abbildet und mögliche Entwicklungsszenarien darstellt. Die Ergebnisse dieses Modells erhärten die Hypothese, dass eine Behandlung – selbst eine sehr rasche – es nicht erlaubt, die HIV-Prävalenz in dieser Gruppe entscheidend zu reduzieren. Dieses Modell stellt auch die Hypothesen auf, dass ungefähr 13 % von MSM sich ihrer Infektion nicht bewusst sind und den Ursprung von ungefähr 80 % der neuen Infektionen bilden, dass die MSM im Durchschnitt zwei Jahre nach ihrer Infektion diagnostiziert werden, und dass sich die Anzahl der MSM unter Therapie von heute bis in zehn Jahren verdoppeln wird, wenn die aktuelle Präventionsarbeit nicht angepasst wird.

Urgent Action Plan 2012
Aufgrund dieser Ergebnisse glaubt das BAG, dass die Hälfte der Übertragungen aus Personen in der Phase der Primoinfektion stammt, und dass ein Drittel der Übertragungen während der Latenzphase stattfinden, wenn die infizierten Personen aus der Phase der Primoinfektion herausgekommen sind, aber (noch) nicht positiv getestet wurden. Der Rest der Übertragungen stammt aus Personen, deren Infektion diagnostiziert worden ist. Aufgrund dieser Hypothese hat das BAG seine MSM-Strategie «Urgent Action Plan 2012» entwickelt. Diese Strategie umfasst drei Tätigkeitsfelder. Das erste Tätigkeitsfeld zielt darauf ab, die Kette von Primoinfektionen zu unterbrechen und die gesamte Viruslast der homosexuellen Gemeinschaft möglichst massiv zu reduzieren. Um diese Ziele zu erreichen, beabsichtigt das BAG mit Hilfe seiner Partner im Feld einen Monat pro Jahr die Homosexuellen und andere MSM zu ermutigen, aktiv an der Reduzierung der Viruslast ihrer Gemeinschaft teilzunehmen und ihre Szene sexueller Kontakte zu einer Umgebung mit geringerem Risiko zu machen. Diese Teilnahme äussert sich nicht notgedrungen in der systematischen Praxis des safer sex während eines Monats. Sie kann sich auch in anderen Formen ausdrücken, zum Beispiel dadurch, während des Aktionsmonats Geschlechtsverkehr exklusiv auf den festen Partner zu beschränken, sich nicht in Grossstädte in der Schweiz oder in Europa zu begeben, wo homosexuelle Szenen mit hoher HIV-Verbreitung existieren, oder keine Drogen zu konsumieren, die das Risikoverhalten beeinflussen, usw. Das zweite Tätigkeitsfeld zielt darauf, die Zeit zwischen der Infektion und der Diagnostik auf 12 Monate zu reduzieren. Die Homosexuellen und andere MSM, die mehrere Geschlechtspartner haben, werden aufgefordert, sich beraten zu lassen und sich mindestens einmal pro Jahr auf HIV, Syphilis, Gonorrhoe, Chlamydia und Hepatitis testen zu lassen. Das dritte Tätigkeitsfeld will die Betreuung der infizierten Personen verbessern sowie eine Übertragung auf feste und gelegentliche Sexualpartner vermeiden. Dieses Tätigkeitsfeld strebt auch die Normalisierung der freiwilligen Information der Partner bei der Diagnose einer sexuell übertragbaren Krankheit an, verbunden mit der Aufforderung an diese, sich beraten und testen zu lassen – selbst wenn keine Symptome vorliegen.

Kontakt

Sektion Prävention und Promotion, steven.derendinger@bag.admin.ch

Roger Staub, Leiter Sektion Prävention und Promotion, roger.staub@bag.admin.ch

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